Dass Karl-Friedrich Schinkel die Kirche zu Wuthenow selbst entworfen hat und nicht Bauführer Jacobi auch für den Entwurf verantwortlich ist, wird belegt durch den Schriftwechsel, in dem Schinkel den Entwurf verteidigt:
[…] Wie die Wuthenower ihre neue Kirche tatsächlich empfunden haben, geht aus den Akten nicht hervor. Abgesehen von den üblichen Unstimmigkeiten und Streitereien bei der Verteilung der Kirchensitze, bleibt die Gemeinde seltsam stumm. Vielleicht aber bringt der für eine offene Sprache bekannte Landrat Friedrich Christian von Zieten auch die Meinung der Wuthenower Bauern zum Ausdruck, wenn er schreibt:
Die Kirche … hat den in jetzigen Zeiten seltenen Vorzug, einen Thurm erhalten zu haben. Jedoch scheint er nicht Beifall im Publiko zu haben. Er ist so breit wie der ganze Giebel der Kirche … und der daraus empor steigende mittlere Theil im Verhältniß sehr niedrig. … Von der Notwendigkeit eines solchen Baues kann man sich nicht überzeugen.Auch Adolph Christian von Bassewitz, der Oberpräsident der Provinz Brandenburg, der die Kirche kurz vor ihrer Fertigstellung besichtigt hatte, schrieb in seinem Reisebericht lakonisch:Die vordere Façade des Thurmes hat mir gar nicht gefallen.In Potsdam ließ man es sich daher nicht entgehen, den ausführlichen Bericht des Landrates an den Minister von Altenstein weiterzuleiten. In dem von Redtel aufgesetzten Begleitschreiben heißt es nicht ohne Schadenfreude,
daß obgleich nach Versicherung des Bauraths des Collegii, die Bauausführung genau nach dem, von der Königlichen Ober-Bau-Deputation vorgeschriebenen Plan erfolgt ist, der mitunterzeichnete Ober Präsident dennoch, in Folge örtlicher Besichtigung des vollendeten Werks, den p. von Zietenschen Ansichten hinsichtlich der unzweckmäßigen Bauform voll beistimmt.Das war ein Angriff auf die Oberbehörde in Berlin, der auf Schinkel nicht nur als deren Direktor, sondern auch als Schöpfer dieses Turmbaus zielte. In einem am 8.März 1838 von Schinkel, Günther und Matthias unterzeichneten Antwortschreiben der Oberbaudeputation hören wir Schinkel selbst sprechen, wenn es heißt:
Hinsichtlich der äußeren Form beziehen wir uns, ohne eine Rechtfertigung zu erachten, auf die Zeichnungen; hoffen übrigens, wenn dieselbe auch gegenwärtig im Publiko wenig Beifall findet, daß die Zeit nicht allzu fern liegt, wo der Formen-Sinn sich genug verbreitet haben wird, um Anordnungen, wie die in Rede stehende auch im Publiko beifällig aufgenommen zu sehen.Fast drei Jahrzehnte zuvor hatte Schinkel beim Bau der Kirche in Teltow geschrieben:
Es ist wohl hinreichend bekannt, daß auf den Dank des Publikums beim größten Rechte nie sicher zu rechnen ist, und wenn dies auch der Fall wäre, daß dabei flur den Fortschritt in der Wahrheit weit öfter das Gegenteil gewirkt werden würde.Das war so geblieben, ebenso aber auch das, was Schinkel als eine Art Selbstverpflichtung der Oberbehörde ansah, nämlich,daß wir dem Charakter unseres Kollegiums zufolge niemals zum Prinzip machen können, um den Preis einer größeren Erkenntlichkeit des Publikums, welches wir ja zu uns heraufzuheben streben, irgendeinen Gegenstand, sei er noch so gering, der in unserem Wirkungsbereich liegt, zu vernachlässigen.Dieser Schriftwechsel sei hier so ausführlich wiedergegeben, weil er zeigt, daß auch in Wuthenow Schinkel selbst die Turmfront entworfen hat, die er nun mit sicherer Hand verteidigt. Am Ende kann er sogar den Baurat Redtel überzeugen, der im Juni 1838 bemerkt, daß
der jetzt vollendete Bau in der Nähe gesehen, eben so wie das Innere der Kirche einen nicht so üblen Anblick (gewährt) wie der p. Zieten bemerkt. Es liegt etwas ungewöhnliches in der Structur, man dürfte sich aber damit versöhnen können.Keine immer wieder in der Literatur angeführte "Schinkel-Schule" hat die Kirche in Wuthenow entworfen, sondern Schinkel selbst. Auch Jacobi, dem seit seiner Erwähnung im lnventarband von 1914 ein immer größer werdender Anteil zugeschrieben wird, war lediglich der Bauführer; am Entwurf war er gänzlich unbeteiligt. […]
Im Eingangsbereich informiert dieses RollUp:
Gleich zweimal hat sich der in Neuruppin geborene Schriftsteller Theodor Fontane mit Wuthenow beschäftigt, zum einen in den Wanderungen durch die Mark Brandenburg, zum anderen im Schach von Wuthenow
Wuthenow. Gegenüber von Ruppin, an der andern Seite des See's.
In einer Art Vorhalle der Kirche hängt ein ziemlich großes Bild, das Ruppin am Schlusse des 17. Jahrhunderts darstellt. Es hat eine lateinische Unterschrift, die da lautet: Prospectus Ruppinensis ac Wuthenoviensis, inventus a M. Samuele Dietrich, Petri Inspect.; pictus ab Henrico Crügero 1694. Also: Ansicht von Ruppin und Wuthenow; erfunden von Herrn Samuel Dietrich, Superintendent an der St. Petri Kirche; gemalt von Heinrich Krüger 1694.
Dies seltsame Bild, das nicht nur »gemalt«, sondern (wie ein ächtes Kunstwerk) auch »erfunden« ist, besteht aus zwei Hälften, aus einer realistischen und einer allegorischen, von denen die realistische (pinxit ab Henrico Crügero) sich damit begnügt, Ruppin mit seinen Kirchen, Thoren, und Mauerthürmen zu conterfeien, während die allegorische Hälfte (inventus ab Samuele Dietrich) die kirchlichen Beziehungen zwischen dem Ruppiner Superintendenten und seinem Wuthenower Filiale darstellt.
Beide Hälften sind interessant genug. Das alte Ruppin ist 1787 niedergebrannt und lebt nur in diesem Wuthenower Bilde noch. Vor dem gothischen Stadtthor steht ein Wachtposten mit Spieß und Horn und der jeden Zweifel über sein eigentliches Amt beseitigenden Umschrift: »Wo der Herr nicht die Stadt behütet, so wachet der Wächter umsonst« (Behüt' das Feuer und das Licht etc.)
Pikanter noch ist die allegorische Hälfte, in der die »Erfindung« zu Tage tritt. Sie besteht darin, daß uns der Ruppiner Geistliche und sein Küster in den verschiedenen Phasen ihrer sonntäglichen Kirchenfahrt gen Wuthenow vorgeführt werden. Verschiedene Scenen, die in Wirklichkeit der Zeit nach aufeinander folgen, folgen sich hier dem Raume nach und die zeitlichen Zwischenräume von 5 oder 10 Minuten werden durch räumliche Zwischenräume von 5 bis 10 Zoll Durchmesser ausgedrückt. Sinnreich genug. Erste Phase: Pastor und Küster steigen in's Boot; sie bitten aber Christus, der eben erschienen ist, vor ihnen einzusteigen. Zweite Phase: Sie rudern über den See; Christus führt das Steuer. Dritte Phase: Sie landen; Pastor und Küster lassen dem Herrn Christus abermals den Vortritt.
Vierte Phase: Pastor und Küster, mit Christus untergefaßt, marschiren am jenseitigen Ufer. Fünfte Phase: Sie kommen an die Wuthenower Kirche (aus deren Thurmluke der Glöckner neugierig herniedersieht) und der Pastor macht abermals jene freundliche Handbewegung gegen Christus, die da sagen soll: bitte, ich bin hier zu Haus.
An Naivetät läßt das Ganze nichts zu wünschen übrig.
In dieser Erzählung, die die wahre Affäre des Rittmeisters Schack vom preußischen Eliteregiment Gensdarmes von 1815 behandelt, beschreibt Fontane Schloss Wuthenow folgendermaßen:
In Wuthenow am See
Es schlug Mitternacht, als Schach in Wuthenow eintraf, an dessen entgegengesetzter Seite das auf einem Hügel erbaute, den Ruppiner See nach rechts und links überblickende Schloß Wuthenow lag. In den Häusern und Hütten war alles längst in tiefem Schlaf, und nur aus den Ställen her hörte man noch das Stampfen eines Pferds oder das halblaute Brüllen einer Kuh.
Schach passierte das Dorf und bog am Ausgang in einen schmalen Feldweg ein, der, allmählich ansteigend, auf den Schloßhügel hinaufführte. Rechts lagen die Bäume des Außenparks, links eine gemähte Wiese, deren Heugeruch die Luft erfüllte. Das Schloß selbst aber war nichts anderes als ein alter, weißgetünchter und von einer schwarzgeteerten Balkenlage durchzogener Fachwerkbau, dem erst Schachs Mutter, die "verstorbene Gnädige", durch ein Doppeldach, einen Blitzableiter und eine prächtige, nach dem Muster von Sanssouci hergerichtete Terrasse das Ansehen allernüchternster Tagtäglichkeit genommen hatte. Jetzt freilich, unter dem Sternenschein, lag alles da wie das Schloß im Märchen, und Schach hielt öfters an und sah hinauf, augenscheinlich betroffen von der Schönheit des Bildes.
Endlich war er oben und ritt auf das Einfahrtstor zu, das sich in einem flachen Bogen zwischen dem Giebel des Schlosses und einem danebenstehenden Gesindehaus wölbte. […]
Er […] beschrieb lieber einen Halbkreis um den Fuß des Schloßhügels herum, bis er in Front des Schlosses selber war. Und nun sah er hinauf und sah die große Terrasse, die von Orangeriekübeln und Zypressenpyramiden eingefaßt, bis dicht an den See hinunterführte. Nur ein schmal Stück Wiese lag noch dazwischen, und auf ebendieser Wiese stand eine uralte Eiche, deren Schatten Schach jetzt umschritt, einmal, vielemal, als würd er in ihrem Bann gehalten. […]
Das Wasser, das hier so verhältnismäß nah an die Schloßterrasse herantrat, war ein so bloßer toter Arm des Sees, nicht der See selbst.
Über das Zu-ernst-Nehmen dieses Textes hat Fontane sich amüsiert, seine Schadenfreude über eine Reisegruppe, die aufbrach, das erfundene Schloss Wuthenow zu besichtigen, kommt in einem Brief an seine Frau Emilie zum Ausdruck:
Berlin, 28. August 1882
An Emilie Fontane
[…] Heute ging ich zu Stephany. Er war sehr nett, auch sehr anerkennend, aber doch auch wieder reservirt, was, glaub ich, mit zum Geschäft gehört. Auch war er noch ganz unter dem Eindruck eines gestrigen (Sonntag) Erlebnisses. Der hiesige märkische Geschichtsverein, und Stephany mit demselben, hatte nämlich gestern eine Exkursion nach Ruppin hin gemacht, und in der Einladung zu dieser Exkursion war ausgesprochen worden: »Fahrt über den See bis Schloß Wuthenow, das neuerdings durch Th. F. eine so eingehende Schilderung erfahren hat.« Durch diese Einladung hatte das Comité nun eine Art von Verpflichtung übernommen, den Teilnehmern »Schloß Wuthenow« zu zeigen, ein Schloß, das nicht bloß nicht existirt, sondern überhaupt nie existirt hat. Denn Wuthenow war nie Rittergut, sondern immer Bauerndorf. Einige der Theilnehmer haben aber bis zuletzt nach dem Schloß gesucht »wenigstens die Fundamente würden doch wohl noch zu sehen sein.« […]
In einem Brief an Wilhelm Friedrich schreibt er dazu eher verärgert:
Berlin, 19. Januar 1883
An Wilhelm Friedrich
[…] Mein Metier besteht darin, bis in alle Ewigkeit hinein »märkische Wanderungen« zu schreiben; alles andre wird nur gnädig mit in den Kauf genommen. Auch bei »Schach« tritt das wieder hervor, und so lobt man die Kapitel: Sala Tarone, Tempelhof und Wuthenow. In Wahrheit liegt es so: von Sala Tarone habe ich als Tertianer nie mehr als das Schild überm Laden gesehen, in der Tempelhofer Kirche bin ich nie gewesen und Schloß Wuthenow existiert überhaupt nicht, hat überhaupt nie existiert. Das hindert aber die Leute nicht zu versichern: »ich hätte ein besondres Talent für das Gegenständliche«, während doch alles, bis auf den letzten Strohhalm, von mir erfunden ist, nur gerade das nicht, was die Welt als Erfindung nimmt: die Geschichte selbst.
Ebenfalls in Schach von Wuthenow erwähnt Fontane eine Läuteordnung in einem Dialog zwischen Schach und dessen Dienerin Frau Krist:
Einen Augenblick später […] klangen vom Dorfe her die Kirchenglocken herauf.
»Was ist denn das?« fragte Schach. »Es kann ja kaum sieben sein.«
»Justement sieben, junge Herr.«
»Aber sonst war es doch erst um elf. Und um zwölfe dann Predigt.«
»Joa, so wihr et. Awers […] den dritten Sünndag, wenn de oll Ruppinsche röwer kümmt, denn is et all um achten. Un ümmer, wenn uns' oll Kriwitz von sine Turmluk' ut unsen Ollschen von dröwen abstötten seiht, denn treckt he joa sien Klock. Und dat 's ümmer um seb'n.«
[…]
[…] es läutete gerade zum dritten Male, und so ging er denn ins Dorf hinunter, um, von dem herrschaftlichen Chorstuhl aus, zu hören, »was ihm der alte Bienengräber zu sagen habe.«
Zu dem Glöckner, der dem über den See kommenden Pfarrer entgegenblickt und daraufhin zu läuten beginnt, hat Fontane wohl das im Kirchenschiff hängende Bild inspiriert, denn in seiner Bildbeschreibung von 1861 tauchte dies Motiv bereits auf. Heutzutage muss übrigens zweimaliges Läuten reichen.
Am 26. August 1787 vernichtete ein Großbrand die mittelalterliche Stadt, beginnend bei den Scheunen am Stadtrand. König Friedrich Wilhelm II. förderte den Wiederaufbau Neuruppins, dadurch ergibt sich das jetzt recht einheitliche Stadtbild.
Bei diesem Brand sind zahlreiche Dokumente die Wuthenower Kirche betreffend vernichtet worden, da auch die Neuruppiner Pfarrkirche und das Haus des damaligen Inspectors (Superintendent) und Pfarrers von Wuthenow Johann Christoph Schinkel, dem Vater des Baumeisters Karl-Friedrich Schinkel, in Asche gelegt wurden. Er predigte an diesem Sonntag in Wuthenow während der Brand ausbrach. Diese Situation schildert der Bechliner Prediger Johann Christoph Samuel Seger in einem Brief vom 10. September 1787 an Oberkonsistorialrat Friedrich Gedike:
[…] Die Hauptstraßen waren schon in Feuer. Hundert und mehrere Häuser waren in verschiedenen Straßen zugleich in Brand geraten, der große prächtige Kirchturm mit der schönen Kirche, die nach 600 Jahren noch ein bewundernswürdiges Denkmal der kühnen gotischen Bauart blieb, dampfte einem Berge gleich, der Feuer speien will, und in einigen Minuten stand sie da, wie ein schreckliches Feuergebirge. Die kleine Kuppel gab ein vielfarbiges Feuer, bis in ein paar Stunden das ganze Gebäude mit einem grausenvollen Getöse einstürzte. Ich eilte ins Haus des ersten Predigers und Inspektors Schinkel, um seine fünf unerwachsenen Kinder und [die] treue Gattin zu unterstützen, weil ich wußte, daß er selbst auf der Kanzel in dem jenseits des Sees gelegenen Dorfe Wuthenow sein würde. Man kann sich vorstellen, in welcher schrecklichen Beängstigung dieser Mann sein mußte, wenn er jenseits des Sees den großen Turm brennen sah, der bei seinem Einsturz sein Haus zerschmettern mußte. Gleichwohl mußte er zu Fuß über Altruppin laufen, da der Wind die Überfahrt verhinderte. Wir hatten wenig Zeit. Seine ausgesuchte Bibliothek und alle seine Papiere zu retten fiel uns nicht ein. Wir hatten wichtigere Angelegenheiten. Wie alle andern Einwohner sich und ihre Kinder zu retten suchten, so mußten auch wir hierauf vor allen Dingen bedacht sein. […]
An den Folgen der Überanstrengung bei den Rettungsarbeiten starb Johann Christoph Schinkel am 25. Oktober des Jahres.
In "Die Pfarrkirche St. Marien zu Neuruppin" wird die Vermutung geäußert Ob Goethe durch Berichte über die Katastrophe in Neuruppin diese Worte in "Hermann und Dorothea" fand?:
[…] es war ein Sonntag wie heute, Heiß und trocken die Zeit und wenig Wasser im Orte. Alle Leute waren, spazierend in festlichen Kleidern, Auf den Dörfern verteilt und in den Schenken und Mühlen. Und am Ende der Stadt begann das Feuer. Der Brand lief Eilig die Straßen hindurch, erzeugend sich selber den Zugwind. Und es brannten die Scheunen der reich gesammelten Ernte, Und es brannten die Straßen bis zu dem Markt, […]
Der "Trostgesang für Neu-Ruppin" von Anna Louise Karsch, der sogenannten deutschen Sappho
, ist dagegen eindeutig an die vom Brand gezeichneten Stadt gerichtet und bejubelt die Hilfsleistungen aus Berlin:
Trostgesang für Neu-Ruppin bey den Ruinen. Am 31sten August 1787.
Blick auf! blick auf von deinem Aschenhügel, Hinauf zum Herrn, den keiner fragen darf, Warum er schnell durch seines Sturmwinds Flügel In deinen Kranz den Feuerwirbel warf?
Im vollen Schmuck sah dich der Mittag schimmern, Und traurig sah die Abendsonne sich Noch einmal um, du lagst bei deinen Trümmern Verhüllt in Dampf, und weintest bitterlich.
[…]
Blick auf! und schau dahin nach jener Seite, Da kam der Sturm, gewaltig wie das Meer, Und stürzte dich zum Staub herab, und heute Kömmt wie vom Himmel Trost für dich daher.
[…]